Prozessrisiko

Gottlob leben wir in Deutschland in einem Rechtsstaat. Das ist alles andere als selbstverständlich: siehe nur Russland, Ungarn, Polen oder die Türkei. Warum rate ich gleichwohl in vielen Fällen, jedenfalls erst einmal, von einem Prozess ab? Es ist nicht damit getan, Recht zu haben oder zumindest zu glauben, Recht zu haben. Man muss auch Recht bekommen.

Die Gerichte sind chronisch überlastet. Die Verfahren ziehen sich hin. Die Richter sollen und wollen die Verfahren so schnell und einfach wie möglich vom Tisch haben. In einem Zivilprozess, mit dem wir es meistens zu tun haben, schlägt das Gericht deshalb oft und mit Nachdruck einen Vergleich vor. Vergleich bedeutet, man verzichtet auf einen Teil seiner Forderung. Im Zweifel auf die Hälfte. Und muss dafür einen Teil der Verfahrenskosten tragen. Also bleibt manchmal nicht viel übrig und oft ein schaler Nachgeschmack.

Oder das Verfahren läuft ohne Vergleich streitig weiter. Dann stellt sich heraus, dass Beweismittel nicht vorhanden oder nicht erreichbar sind. Die Zeugen sagen nicht die Wahrheit oder erinnern sich nicht richtig. Der Richter versteht die Dinge anders, als sie gemeint sind. Es gibt alle möglichen Unwägbarkeiten, mit denen ein Anwalt nicht rechnet und nicht immer rechnen kann. Und am Ende verliert man den Prozess, hat Zeit, Nerven und Geld investiert und bleibt frustriert oder gar verbittert zurück.

Besser also, von vornherein zu versuchen, den Streit im Vorfeld eines Prozesses beizulegen. Auch der Gegner wird sich einen Prozess überlegen, wenn man ihm die Risiken vor Augen führt und ihm einen fairen Kompromiss vorschlägt.